Der heutige Blick über den Tellerrand führt weit zurück, nämlich ins Jahr 1963. Aus diesem Jahr stammt meine Ausgabe des Buches “Die Großen in der Tiefe” von Karl Herbert Scheer.
Das Buch ruht schon einige Jahre im ehemaligen Chaos meiner Bibliothek. Wiedergefunden habe ich es bei der großen Räum- und Ordnungsaktion vor ein paar Wochen und den Auslöser zur Lektüre endlich gab ein kleiner, leider hochaktueller Textausschnitt aus Perry Rhodan Band 400 – Menschheit im Zwielicht:
|
»Copyright by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt« |
Zusammen mit einem Satz aus dem Klappentext von “Die Großen in der Tiefe” ergibt sich ein Bild, das so gar nicht zum oft bemühten Spitznamen “Handgranaten Herbert” passen will:
“Die größte Gefahr für die Menschheit ist ein einziger Neurotiker an einem Kommandogerät.”
Höchste Zeit also für einen Blick auf ein Werk aus der Feder von Perry Rhodans geistigem Vater.
Worum geht es?
Durch einen tragischen Fehler wird Mitte der 1970er Jahre der Atomkrieg ausgelöst, den eigentlich niemand will, auf den sich aber alle vorbereitet haben. Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika hat einen gewaltigen Tiefbunker errichtet, den am Tag Null nur wenige Tausend handverlesene Spezialisten betreten dürfen, um die Menschheit auf der zerstörten Erde eines fernen Tages wieder aufzubauen. (Natürlich handelt es sich bei den Spezialisten ausschließlich um Männer, Frauen werden zu Reproduktionszwecken zähneknirschend mit reingelassen.)
Der zweite Teil des Buches setzt 174 Jahre nach der totalen Zerstörung ein und zeigt eine Menschheit, die in ihrer Höhle ums nackte Überleben kämpft. Althergebrachte Ordnungsgefüge sind zusammengebrochen, es herrschen strikte Auslese und ein brutales Kastensystem.
Gefangen nicht nur in der Höhle, sondern auch in den gesellschaftlichen Zwängen des jahrhundertelangen Bunkerlebens wagt eine kleine Gruppe junger Menschen den Schritt nach draußen auf die Oberfläche.
Wie hat es mir gefallen?
Karl Herbert Scheer legt mit “Die Großen in der Tiefe” einen Science Fiction Roman vor, der so gar nicht zu seinem leidigen Spitznamen passen will. Zwar rasseln im ersten Teil die Automaten, quietschen die Scharniere. Es werden Waffen geölt und fleißig salutiert, Frauen kommen nur am Rand vor – eine frühe Form dessen, was man heute Military-SF nennt.
Im zweiten Teil ist dann aber Schluss mit Raketen. Hier geht es schonungslos und sehr dezidiert um die Gesellschaft, die sich im Bunker entwickelt hat. Enge, Knappheit und Feuchtigkeit aller Orten, Technologie- und Wissensverlust deluxe. Diese Seiten lesen sich wie die 60er-Jahre-Urfassung von Gluchowskis Metro 2033. Nichts von dem, was in der Moskauer U-Bahn vor sich, lässt Scheer Jahrzehnte früher nicht auch passieren. Selbst Mutanten tauchen am Rande auf.
Aus jeder Zeile des Romans springt Scheers tiefer Wunsch nach Frieden. Ein Mensch, der den Zweiten Weltkrieg noch miterleben musste, setzt dem Weltfrieden ein Denkmal in Form einer Dystopie. Großartig!
Kann ich das Buch empfehlen?
“Die Großen in der Tiefe” braucht sich hinter Klassikern wie Planet der Affen (Pierre Boulle, 1963), Logan’s Run (William F. Nolan und George Clayton Johnson, 1967) und Make Room! Make Room! (Harry Harrison, 1966) nicht zu verstecken, und vermutlich ist es eher der generellen Mutlosigkeit deutscher Verleger gegenüber deutschsprachiger Science Fiction geschuldet, dass “Die Großen in der Tiefe” bis heute eher ein Schattendasein führt, verglichen mit den drei berühmteren und etwa gleich alten Geschwistern.
Wer klassische Science Fiction mag, wer auf Dystopien steht und wer mehr über Karl Herbert Scheers Gedankenwelt wissen will, sollte beim Antiquar seines Vertrauens unbedingt nach diesem Buch fragen.
Die Details
Titel: Die Großen in der Tiefe
Autor: Karl Herbert Scheer
Erscheinungsjahr: 1963
Umfang: 169 Seiten
Wilhelm Heyne Verlag München (spätere Auflagen bei Pabel)
Preis: aktuell um die 5,00 € als Taschenbuch
Und sonst so?
Interessant sind einige hübsche Parallelen zur Perry-Rhodan-Serie. So scheint Scheer eine gewisse Faszination für Mutanten gehabt zu haben. Was er wohl heute von X-Men denken würde.
Außerdem fällt die Charakterisierung, die für mich bis jetzt fest mit Lesley Pounder verbunden war: “quadratisch von Gestalt und Charakter”. Herrlich.
Martin liest sich seit dem 1. Januar 2017 vom ersten Heft an durch die Perry-Rhodan-Heftserie und hat sich vorgenommen, mit dem Heftehaufen ein öffentliches Lesetagebuch zu führen.
Wenn er mit dem Kopf nicht im Weltraum steckt, stromert er mit seiner kleinen Familie durch die Eifel, das Universum und den ganzen Rest.
Neueste Kommentare